BM319293 – RAGTIME BEAUTIES

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RAGTIME BEAUTIES

Marcus Schwarz spielt Ragtimes, die jeder und solche, die keiner kennt.

Otto Normalverbraucher kennt genau einen Ragtime und den auch noch unter einem falschen Namen. Gemeint ist ein Stück, das in Deutschland hartnäckig den Titel „Der Clou“ trägt, weil es aus der Musik zu einem Film stammt, der ebenfalls „Der Clou“ heißt. Das ist doppelt falsch. Erstens lautet der Titel des 1973 mit Robert Redford und Paul Newman gedrehten Films nicht „Der Clou“, sondern „The Sting“. Zweitens heißt auch das Hauptthema der Filmmusik nicht „Der Clou“, sondern „The Entertainer“. Und drittens, könnte man anfügen, sind Ragtimes ohnehin nicht die richtige Untermalung für einen Film, der im Chicago der 1930er Jahre spielt, denn 1930 war die Ragtime-Welle vorbei. Die große Zeit der Ragtimes dauerte von 1890 bis 1920. Dann versanken sie in einem Dornröschenschlaf, aus dem sie erst in den 1970er-Jahren wieder geweckt wurden.

Obwohl dieser Entertainer ja eines der bekanntesten Musikstücke der Welt und der berühmteste Ragtime überhaupt ist, kennt kaum einer den Komponisten. Der hieß Scott Joplin (1868-1917) und war ein Afroamerikaner aus dem ländlichen Missouri. Joplin wuchs in der Epoche der Revolverhelden und zu einer Zeit, als Weiße Schwarze noch ungestraft lynchten, weit weg vom Schuss auf, aber er war ein Naturtalent am Klavier. Trotz Armut und Provinz erhielt er bereits als Kind Unterricht bei einem guten Lehrer, studierte Harmonielehre und vierstimmigen Satz. Er spielte früh in Saloons und Bordellen. 1899 komponierte er mit dem Maple Leaf Rag den vielleicht besten und erfolgreichsten Ragtime aller Zeiten. Joplin war ein überaus begabter Komponist, und seine 20 besten Stücke sind den Mazurkas und den Klavierwalzern von Chopin vom Erfindungsreichtum, dem geschickten Klaviersatz und ihrer subtilen Harmonik her ebenbürtig.

Große Könner haben nicht nur Erfolg, sondern auch Nachahmer. So war es auch beim Ragtime. Zwischen 1890 und 1920 wurden Tausende von Ragtimes komponiert, aber nur ca. 60 davon stammen von Scott Joplin. Vom wem waren die anderen? Zum Beispiel von Joseph F. Lamb (1887-1960), einem weißen New Yorker, der nur wenige Jahre und nur eine Handvoll Stücke komponierte, die sind aber so gut, komplex und ausgreifend, dass sie in den Annalen des Ragtimes bis heute einen Ehrenplatz einnehmen.

Das Wort Ragtime ist eine Zusammenziehung aus „Rag“ bzw. „ragged“, was „Lumpen“ oder „zerrissen“ bedeutet und Time, was hier „Takt“ oder „Rhythmus“ meint und in der Verbindung dann zum „zerrissenen Takt“ wird. „Zerrissen“ wird der strikte Zweiviertel-Takt, in dem alle Ragtimes stehen, und zwar durch die Synkopen (Verschiebungen der Taktschwerpunkte) in der Melodielinie. Damit ist der Ragtime das erste Beispiel schwarzer Musik und ein wichtiger Vorläufer des späteren Jazz, selber jedoch kein Jazz, da Ragtimes streng durchkomponiert wurden und keinen Raum für Improvisationen ließen.

Nicht nur Männer haben erfolgreich Ragtimes komponiert und gespielt, sondern auch Frauen. Es ist eines der schönsten Charakteristika der vorliegenden Aufnahme, dass der Pianist Marcus Schwarz auch drei faszinierende Stücke von den Damen des Ragtimes bietet und hier endlich eine eminente Repertoirelücke schließt. Schon ein erstes Anhören beweist: Die Ladies komponieren genauso mitreißend und spritzig wie ihre bekannteren männlichen Kollegen.

Best.-Nr.: BM319293